Ein perfektes Rennen bis zur Flamme Rouge
Lange sah es nach einem perfekten Saisonauftakt für Team Strassacker aus: Moritz Palm und Chris Mai lagen bei der Tour d’Energie als Ausreißer klar vorn, ehe Palm mit Defekt ausschied und Mai schließlich an der Kilometermarke eingeholt wurde. So blieb für die Kunstgießerei-Mannschaft beim ersten GCC-Rennen in Göttingen statt des sicher geglaubten Doppelsieges “nur” ein Trostpflaster: der Sieg in der Teamwertung.
Die Vorfreude hätte größer nicht sein können. Nach über zwei Jahren pandemiebedingter Rennabstinenz hieß es anlässlich des Auftakts des German Cycling Cups 2022 erstmals wieder: Startnummern auf den Renneinteiler pinnen, Transponder befestigen, einklicken und 100 Kilometer feinsten Radsport rund um Göttingen genießen. Nach dem verheerenden Sturz bei der letzten Austragung der Tour d’Energie in Göttingen im Jahr 2019, bei dem gleich vier Teamfahrer im Krankenhaus landeten, hieß es für das Team Strassacker in diesem Jahr: sturzfrei ins Ziel kommen. Auch deshalb fuhr die Équipe aus Süßen das Rennen von der Spitze und hätte sich beinah für die starke Leistung belohnt: Nur ein Quäntchen Glück fehlte zum ganz großen Triumph.
Das Fundament für eine erfolgreiche Saison war traditionell wenige Wochen zuvor durch ein intensives Trainingslager auf Mallorca gelegt worden. In diesem Rahmen konnten die fünf Neuzugänge für die Saison 2022 Ben Witt, Martin Nitzschmann, Fabian Thiele, Jonas Kahler und Moritz Palm mit den langjährigen Teamfahrern unter Leitung von Joscha Weber gut zusammenfinden und wichtige gemeinsame Trainingskilometer abspulen.
Mit entsprechend riesiger Motivation und schnellen Beinen gingen insgesamt 17 Fahrer in dem aus den Vorjahren im GCC-Peloton berühmten Celeste an den Start. Nach einer kurzen neutralisierten Startphase am Göttinger Jahnstadion wurde das Rennen schließlich 1,5 km später offiziell eröffnet. Das Team Strassacker kontrollierte mit fünf Fahrern (Markus Herms, Daniel Novak, Jannik Wüster, Martin Nitzschmann & Phil Peitzmeier) das relativ ereignisarme Anfangsgeschehen mustergültig und verhinderte erfolgreich die Bildung einer frühen Spitzengruppe. Lediglich Neuzugang Thiele ging durch einen unglücklichen Sturz seines Vordermanns in einem Kreisverkehr ebenfalls zu Boden und konnte infolgedessen den Anschluss an das Hauptfeld im weiteren Rennverlauf nicht mehr herstellen: “Leider war mein Rennen nach 10 Minuten schon vorbei; am kommenden Sonntag in Frankfurt wird dafür umso mehr angegriffen – die Form stimmt!”, so Thiele nach der Zieleinfahrt.
Das Rennen wurde wenige Kilometer vor der ersten wirklichen Herausforderung des Tages, dem ca. 5,2 km langen Anstieg im Bramwald, zunehmend nervöser, wodurch einige Stürze im hinteren Teil des Hauptfeldes ausgelöst wurden. Aufgrund der konzentrierten wie geschlossenen Fahrweise als Team im vorderen Drittel des Feldes blieben alle Teamfahrer hiervon glücklicherweise verschont. Nachdem der Bramwald durch ein zügiges, aber kontrolliertes Tempodiktat von Phil Peitzmeier für eine erste Vorselektion gesorgt hatte, gingen im nachfolgenden, welligen Terrain insgesamt vier Strassackerfahrer (Witt, Klöckner, Jansing und König) gemeinsam in die Offensive. Das hierbei verfolgte Ziel, eine spätere “Relaisstation” nach dem Hohen Hagen formieren zu können, wurde insbesondere durch die Nachführarbeit des Teams Leeze vereitelt, sodass eine ca. 50 Fahrer umfassende Gruppe geschlossen den Hohen Hagen in Angriff nahm, an dem sich wie bereits in den Jahren zuvor ein heftiger Schlagabtausch zwischen den Favoriten abzeichnen sollte.
Die Teamtaktik ab hier war klar: das Rennen schwer machen für die starken Bergfahrer im Team. Und so fuhren Daniel Novak, Joscha Weber und Jonas Kahler mit Volldampf in den Hagen, ehe Johannes König das Tempo noch einmal erhöhte und so für eine Selektion sorgte. Schließlich lancierten Chris Mai und Moritz Palm gemeinsam die vermeintlich vorentscheidende Attacke im Steilstück des Hohen Hagens und konnten schnell eine Lücke von rund 15 Sekunden auf die Verfolger herausfahren.
Während insbesondere Luca Wittrock, Timo Dahlheimer und Sean Feldhaus in der zweiten Gruppe das Tempo verschleppten und ihren Teamkollegen damit den den Rücken freihielten, gelang es dem Strassacker-Führungsduo bei starkem Gegen-, bzw. Seitenwind in der sich anschließenden Abfahrt den Vorsprung auf rund 40 Sekunden auszubauen. In Gedanken schon jubelnd auf der Zielgeraden in Göttingen wurde Palm jedoch 11 Kilometer vor dem Ziel eine Windböe zum Verhängnis infolge derer er unglücklich das Hinterrad seines Teamkollegen Mai touchierte und einen Defekt am Vorderrad erlitt: Mit gerissenen Speichen stand er unglücklich am Straßenrand.
Von nun an auf sich allein gestellt, kämpfte Chris Mai nicht nur gegen starken Gegenwind, sondern auch eine mittlerweile gut organsierte circa 20 Mann große Verfolgergruppe. Trotz seiner beeindruckenden Performance wurde Chris Mai schließlich kurz nach Durchfahren des “Teufelslappens” durch das heraneilende Feld gestellt. “Am Hohen Hagen haben wir nach toller Vorbereitung des gesamten Teams das Feld wie geplant im steilsten Stück gesprengt”, so Mai im Ziel. “Danach lief es für uns eigentlich perfekt, Moritz und ich haben super harmoniert. Nachdem ich die letzten 11km alleine im Wind fahren musste, hat es leider nicht ganz für den Sieg gereicht. Das ist natürlich schade, dennoch zeigt die Formkurve nach überstandener COVID-Infektion steil nach oben. Das stimmt mich zuversichtlich für die kommenden Rennen.”
Im Sprint des vorbeirauschenden Feldes wusste letztlich Timo Dahlheimer mit einem tollen 4. Platz (3. Platz AK) hinter dem Überraschungssieger Nils Becker (RV Kiel) zu überzeugen, der sich denkbar knapp gegen Hanno Rieping (Team pro-juventute.org – PERCY MASH), Sieger der Jahre 2017 und 2018, sowie Patrick Altefrohne (Team Leeze) durchsetzen konnte. “Nachdem wenige Kilometer vor Ziel absehbar war, dass unser Kapitän Chris eingeholt werden würde, lief alles auf einen Massensprint hinaus”, so Dahlheimer über das Finale. “Insbesondere Ben Witt, der vorher schon einen tollen Job machte, hat mich dann auf dem letzten Kilometer super in Position gefahren und mich am richtigen Hinterrad abgeliefert. Den Sieger hatten wir ehrlicherweise alle nicht auf dem Zettel, das Finale war dann etwas chaotisch. Am Ende haben wir das Beste aus der Situation gemacht”, so Dahlheimer im Nachgang.
Sean Feldhaus rollte als guter 7. über die Ziellinie und wurde zugleich 2. seiner Altersklasse. Zudem konnte das Team Strassacker die Teamwertung gewinnen, da auch Luca Wittrock, Phil Peitzmeier, Ben Witt, Dominique Jansing, Jonas Kahler, Lukas Klöckner und Chris Mai das Ziel in der ersten Gruppe erreichten. Chris Mai sicherte sich darüber hinaus den Bergpreis am Hohen Hagen. Auch deshalb blickte Joscha Weber, sportlicher Leiter des Teams, mit gemischten Gefühlen zurück: “Auch wenn es das Ergebnis nicht ganz zeigt: Wir sind ein nahezu perfektes Rennen gefahren. Unser Plan ging auf und die Jungs haben alle hart dafür gearbeitet. Am Ende fehlten uns 900 Meter zum Sieg.”
Teamchef Franco Adamo konnte dennoch ein überwiegend positives Fazit für das erste Rennen der Saison 2022 ziehen: “Mit der geschlossenen Mannschaftsleistung meines Teams bin ich für das erste Rennen sehr zufrieden. Natürlich ist es schade, den fast sicheren Doppelsieg so kurz vor dem Ziel noch aus der Hand zu geben, das tut mir leid für die Jungs. Taktisch haben wir perfekt umsetzen können, was wir am Abend zuvor besprochen haben. Es freut mich sehr, dass sich unsere fünf Neuzugänge so gut in die Mannschaft integriert haben und diese hervorragend ergänzen. In Hinblick auf die kommenden Rennen bin ich nach dem heutigen Auftritt des Teams sehr zuversichtlich und überzeugt davon, dass wir unsere gesteckten Ziele für das Jahr 2022 erreichen werden. Strassacker is back!”
Eines wurde am Wochenende in Göttingen deutlich: Die Performance stimmt, die Stimmung ist gut und der Zusammenhalt im Team Strassacker könnte besser nicht sein. Wir freuen uns auf die nächsten Rennen – mit etwas mehr Fortune wird unser Celeste dann auch wieder vom Podium aus in die jubelnde Zuschauermenge strahlen. Dank gebührt zu guter Letzt dem gesamten Veranstaltungsteam der Tour d’Energie in Göttingen, das es trotz einer zweijährigen Pandemiepause und Planungsunsicherheiten im Vorfeld geschafft hat, ein sehr gut organisiertes Radsportevent auf die Beine zu stellen.